LANGE KERLS -
Muster, Mythos oder Maskerade
Friedrich Wilhelm I.(1688-1740), der "Soldatenkönig", machte das Königsregiment (Nr.6) mit seinen "langen Kerls" zum Muster der preussischen Infanterie. Oder waren die Eliteinfanteristen Tarnung und Maskerade gegenüber anderen politischen Mächten? Der Mythos um die hoch gewachsenen Gardisten hat sich jedenfalls über die Jahrhunderte hinweg bis heute gehalten.
Anwerbung:
Die Art und Weise, wie sich das Königsregiment seine schön und groß geschaffenen Rekruten besorgte, wurde im zeitgenössischen Militärjargon unisono als "Werbung" bezeichnet. Allerdings muss "die Werbung" qualitativ und quantitativ präziser differenziert werden. In Preussen selbst ging eine Anfangsphase willkürlicher Aushebung (etwa ab 1714/15 bis 1718) allmählich in die geregelten Rekrutierungsformen im Rahmen des Kantonsystems über. Ein solcher geografisch fest umrissener Ersatzbezirk hat auch dem Königsregiment zur Verfügung gestanden. Weiterhin bezog es eine andauernde Rekrutenzufuhr aus den so genannten "Revueübernahmen", da Friedrich Wilhelm I. am Ende seiner jährlichen Truppenbesichtigungen in allen Landesteilen die von den dortigen Regimentern angeworbenen "langen Kerls" nach Potsdam übernahm. Bei solchen "Revueübernahmen" konnte es sich um Männer handeln, die aus Preussen stammten oder im Ausland angeworben waren; so, wie die Offiziere des Königsregiments nebst einer Handvoll bestimmter Rekrutierungsspezialisten anderer Truppenteile ihrerseits für die Potsdamer Truppe groß gewachsen und schön anzusehenden Männer im Reich oder europäischen Ausland dienstverpflichteten. Diese "Werbung" stellte in der Regel keinen Gewalt-, sondern einen Überredungs-Akt dar. Meist lief der Werbealltag geschäftsmäßig ab. Gestützt auf ein System von provisionsbezahlten "Anbringer" oder auf eigenes Risiko wirtschaftenden Werbekommissaren wurden junge Männer in Fremden Territorien einzeln oder verwandschaftsweise den offizellen Werbekommandos zugeführt, durch hohe Handgeldzahlung zur Dienstnahme in Preussen bewogen, deren Familienmitglieder und Freunde zur günstigen Beeinflussung des Rekrutenaspiranten geschmiert, Leibherren für den Verlust an Arbeitskraft entschädigt und nicht zuletzt auch den jeweiligen Landesfürsten kostbare Geschenke gemacht, damit sie solche Untertanenausfuhr aus ihrem Machtbereich erlaubten. Die "Werbung" und der anschließende Rekrutentransport ergaben ein ebenso lukratives, aufregendes wie risikoreiches Geschäft, an dem möglichst viele Zeitgenossen zu verdienen suchten.
Grenadier:
Seit dem 18. Jahrhundert Bezeichnung für den Infanteristen, der ursprünglich auch im Handgranantenwurf ausgebildet war und daher als Kopfbedeckung nicht den ausladenden Dreispitz, sondern eine hohe Grenadiermütze trug. Sie war zunächst ganz aus Stoff gebildet, und erhielt später ein Vorderschild aus Messingblech. Schon unter dem Soldatenkönig, und weiter in der friderizianischen Zeit bildeten die Grenadiere eine nicht unbedingt übergroß gewachsene, doch besonders zuverlässige und im Soldatenberuf erfahrene Elite unter den Fußsoldaten.
Quelle: Porticus, Band 2/2005